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Trauerratgeber

Abschied in Einsamkeit

Abschied in Einsamkeit

Einen nahestehenden Menschen zu verlieren ist ein emotionaler Ausnahmezustand: Die Zeit scheint stillzustehen, die Trauer ist einschneidend, tiefgreifend, erschütternd. Nichts ist mehr so, wie es war.

Kein persönlicher Abschied vom Sterbenden, kein mitfühlendes Gespräch unter Freunden und keine Trost spendende Umarmung: Der Tod in Pandemiezeiten ist einsam – Wie geht man damit um?

Die wegen der Pandemie geltenden Einschränkungen haben diesen Ausnahmezustand verschlimmert, denn sie verhinderten, dass Menschen ihre Angehörigen in Krankenhäusern und Seniorenheimen in ihren letzten Stunden begleiten durften. Sogar eine Trauerfeier mit Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn wurde und wird wegen einer Ansteckungsgefahr von offizieller Seite verwehrt. Rituale und Zeremonien, die zur Verarbeitung des Todes notwendig und wichtig sind, müssen ausfallen. Das hinterlässt Spuren.

„Wir erleben bei den Trauernden zurzeit eine grenzenlose Ohnmacht, eine quälende Hilflosigkeit. Hinzu kommt Wut über diese fremde Instanz, die über eigene existenzielle Bedürfnisse bestimmt“, berichtet Bettina von Seidel-Rob. Die Pastorin in der Kirchengemeinde St. Lorenz ist seit vielen Jahren Ansprechpartnerin für Trauernde.

Rituale, die seit Jahrhunderten gepflegt werden, seien wichtig, um zu realisieren, dass etwas Unfassbares wie der Tod geschehen ist, sagt Kirsten Prussky. „Selbst wenn unser Herz es längst spürt, dass der Mensch nicht mehr da ist, macht es uns unser Gehirn schwer, diesen Verlust zu akzeptieren“, sagt die Psychotherapeutin. Wenn selbst die Gespräche, wie sie während einer Bestattung unter Verwandten und Freunden des Verstorbenen stattfinden, ausfallen, sind die Trauernden mit ihrer Seelenqual alleine.

Einer, der eine solche Sprachlosigkeit selbst erfahren hat, ist Ulrich Wehr. „Im März 2020 habe ich meinen älteren Bruder verloren. Wegen der Coronavorschriften konnte ich nicht Abschied nehmen. Nun, nach einem Jahr, wollten wir als Familie diesen Abschied nachholen. Auch dies ist nicht möglich gewesen.“ Obwohl Wehr selbst als ehrenamtlicher Trauerbegleiter im Café Schwerelos tätig ist, fällt es ihm noch immer schwer, den Tod des Bruders anzunehmen „Etwas ist noch immer ungelöst.“ Für viele Menschen, denen es selbstverständlich ist, Angehörige im Sterben zu begleiten, sei es unerträglich, dass sie an amtlich verordneten Hygieneregeln scheitern mussten.

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Die Trauerbegleiter vom Café Schwerelos in Lübeck: Ulrich Wehr, Koordinatorin Andrea Halbmann-Merz und Saskia Moll führen nach telefonischer Absprache Einzelgespräche. Fotos: mbruxellle/adobestock, Carola Pieper

„Sie entwickeln Schuldgefühle“, sagt Pastorin von Seidel-Rob. „Hochmotivierte Menschen fallen in ein Loch, auch deshalb, weil sie nicht sagen können: Das nächste Mal mache ich es besser.“

Eine Trauerbegleitung kann aus dieser seelischen Qual helfen, weil sie versucht, den Trauernden erkennen zu lassen, dass ihn keine Schuld trifft. Trauerbegleiter wie die der Lübecker Hospizbewegung und der Kirchengemeinde St. Lorenz bedauern sehr, dass die sonst regelmäßig stattfindenden Gruppengespräche, die wirkungsvoll aus der nagenden Einsamkeit heraushelfen, zurzeit ausfallen müssen. Angeboten werden stattdessen Einzelgespräche, telefonisch, vor Ort oder während eines Spaziergangs. „Dabei geben wir dem Schmerz der Trauernden einen Raum und bieten einen Resonanzboden“, sagt von Seidel-Rob. „Alles darf gesagt werden. Das hilft aus der Erstarrung.“

Menschen trauern unterschiedlich. Emotional und zeitlich. Ob sie genügend Ressourcen haben, um über den Verlust hinwegzukommen, zeigt sich auf zwei Arten: Irgendwann sind sie in der Lage, die tiefgreifende Veränderung in ihrem Leben anzunehmen. Dann hat sich ihre Erstarrung gelöst und sie sind wieder erreichbar. Wenn der Schmerz jedoch zu tief sitzt und die seelischen Qualen zu stark sind, wenn sich Symptome wie Kopf- und Rückenschmerzen, Schlaf- und Antriebslosigkeit, Angstgefühle und Depression einstellen, kann eine psychotherapeutische Behandlung sinnvoll sein. „Dann lasten die Umstände so schwer auf der Seele, dass die Trauer ungelöst bleibt und traumatische Züge annimmt“, sagt die Lübecker Psychotherapeutin Kirsten Prussky. Eine Psychotherapie geht der seelischen Ursache der körperlichen Symptome auf den Grund. cp

Trauerbegleitung
Café „Schwerelos“, Trauercafé der Lübecker Hospizbewegung e.V.
Breite Straße 50
23552 Lübeck
Tel. 0451 / 899 77 75
info@luebecker-hospizbewegung.de
www.luebecker-hospizbewegung.de

Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Lorenz
Steinrader Weg 11a
23558 Lübeck
Tel. 0451/ 4 15 57
www.st-lorenz-luebeck.de